Das Kreuz wurde zum Symbol des Christentums. In fast jeder Kirche findet sich ein Kreuz. Es ist Bestanteil von Nationalflaggen von Ländern geworden, die ihre christliche Ausrichtung zeigen wollten. Auf Friedhöfen symbolisieren die Kreuze den Tod. Sogar als Schmuckstück sind Kreuze beliebt: an Ketten, als Ohrring und auch als Piercing.
Wir haben uns schon so an Kreuze gewöhnt, dass wir gar nicht an die Grausamkeit einer Kreuzigung denken, wenn wir ein Kreuz sehen. Denn grausem war es, was da passierte. Die Kreuzigung gehörte zu den schlimmsten Hinrichtungsarten der Antike. Sie war Schwerverbrechern, Sklaven und Staatsfeinden vorbehalten. Römische Bürger durften nicht gekreuzigt werden– das war unter ihrer Würde.
Dass Jesus gekreuzigt wurde, ist angesichts seines Lebens unverständlich. Es bedurfte einiger juristischer Unregelmäßigkeiten, ihn in einem kurzen Verfahren so hinzurichten zu lassen.
Der Evangelist Johannes (Johannesevangelium Kapitel 19) erzählt die Ereignisse folgendermaßen:
„Jesus wurde abgeführt. 17 Er trug sein Kreuz selbst aus der Stadt hinaus zu dem Ort, der »Schädelplatz« heißt, auf Hebräisch Golgota. 18 Dort wurde Jesus gekreuzigt und mit ihm noch zwei andere – einer auf jeder Seite und Jesus in der Mitte. 19 Pilatus ließ ein Schild oben am Kreuz anbringen, auf dem geschrieben stand: »Jesus der Nazoräer, der König der Juden.« 20 Viele Juden lasen das Schild. Denn der Ort, wo Jesus gekreuzigt wurde, lag nahe bei der Stadt. Die Inschrift war in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache abgefasst. 21 Die führenden Priester des jüdischen Volkes sagten zu Pilatus: »Schreibe nicht: ›Der König der Juden‹, sondern: ›Dieser Mann hat behauptet: Ich bin der König der Juden.‹« 22 Pilatus erwiderte: »Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.«
23 Nachdem die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, teilten sie seine Kleider unter sich auf. Sie waren zu viert, und jeder erhielt einen Teil. Dazu kam noch das Untergewand. Das war in einem Stück gewebt und hatte keine Naht. 24 Die Soldaten sagten zueinander: »Das zerschneiden wir nicht! Wir lassen das Los entscheiden, wem es gehören soll. «So ging in Erfüllung, was in der Heiligen Schrift steht: »Sie verteilen meine Kleider unter sich und werfen das Los über mein Gewand. «Genau das taten die Soldaten.
25 Nahe bei dem Kreuz von Jesusstanden seine Mutter und ihre Schwester. Außerdem waren Maria, die Frau von Klopas, und Maria aus Magdala dabei. 26 Jesus sah seine Mutter und neben ihr den Jünger, den er besonders liebte. Da sagte Jesus zu seiner Mutter: »Frau, sieh: Er ist jetzt dein Sohn.« 27 Dann sagte er zu dem Jünger: »Sieh: Sie ist jetzt deine Mutter.« Von dieser Stunde an nahm der Jünger sie bei sich auf.
28 Nachdem das geschehen war, wusste Jesus, dass jetzt alles vollbracht war. Damit vollendet würde, was in der Heiligen Schrift steht, sagte er: »Ich bin durstig!« 29 In der Nähe stand ein Gefäß voll Essig. Die Soldaten tauchten einen Schwamm hinein. Dann legten sie ihn um einen Ysopbund und hielten ihn Jesus an den Mund. 30 Nachdem Jesus den Essig genommen hatte, sagte er: »Es ist alles vollbracht.« Er ließ den Kopf sinken und starb.“
Was der Evangelist Johannes hier sehr zurückhaltend erzählt, war ein furchtbares Geschehen. (Übrigens floss – entgegen vieler dramatischer Darstellungen – bei einer Kreuzigung fast kein Blut.) Aber trotz aller Zurückhaltung – warum erzählen die 4 Evangelisten die Kreuzigung Jesu so ausführlich? Jede und jeder damals wusste, wie so etwas abläuft. Ein Satz zum Thema hätte genügt.
Die Antwort klingt fast paradox: Weil sich am Kreuz vollendet, was die Lebensbotschaft Jesu war. Und da werden im Neuen Testament ganz unterschiedliche Aspekte formuliert:
Jesus stirbt, weil er bereit war, wie einige Propheten, an seiner Botschaft bis zum Schluss festzuhalten. Das Kreuz ist so etwas wie die Unterschrift unter seine Botschaft.
Der Apostel Paulus sieht in dem Geschehen am Kreuz Gott selbst am Werk (2. Korinther 5,19). „Ja, in Christus war Gott selbst am Werk, um die Welt mit sich zu versöhnen. Er hat den Menschen ihre Verfehlungen nicht angerechnet.“ Kurz gefasst: Gott streckt uns in Jesus Christus die Hand zu Versöhnung entgegen und spricht uns zu: „Dir ist vergeben! Gott rechnet Dir Deine Schuld für alle Ewigkeit nicht mehr an!“
Und beim Evangelisten Johannes lesen wir, wie Jesus einmal zu seinen Jüngern sagt: „Niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben lässt für seine Freunde.“ Bei Beerdigungen heißt es manchmal: „Die verstorbene Person hätte ihr letztes Hemd für andere gegeben.“ Jesus wurde sein letztes Hemd genommen – aber gegeben hat er sein Leben: als Zeichen unüberbietbarer Liebe zu uns.
In der englischen Sprache heißt der Karfreitag „Good Friday“ – guter Freitag. Gut für uns, weil Gott in Jesus seine Liebe zeigt und dies mit dem äußersten Mittel unterstreicht, das ein Mensch benutzen kann: mit dem eigenen Leben.
Achim Schowalter