24. April 2020



Die Mandelbäume sind die ersten Bäume in Israel, die im Januar ihre Blüten im Winde wiegen. Sie  tun das oftmals noch im Sturm und Regen der ausgehenden Winterzeit dort und gelten im Lande Jesu als erste Zeichen neu beginnenden Lebens nach der Brachzeit im Winter.

Solch einen blühenden Mandelzweig nimmt der aus München stammende jüdische Schriftsteller, Journalist und Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin (1913-1999) in seinem Gedicht auf. Der Mandelzweig wird für ihn zu einem Hoffnungszeichen dafür, „wie die Liebe bleibt“. Zu einem Fingerzeig dafür, „wie das Leben siegt“.

Das Gedicht schrieb Schalom Ben-Chorin 1942 im damaligen Palästina. Da herrschte in Europa Krieg. Er selbst war 1935 von dort vor Verfolgung durch die Nationalsozialisten geflohen. 1981 wurde das Gedicht von Fritz Baltruweit vertont und auf dem Kirchentag in Hamburg erstmals öffentlich vorgetragen. Im neuen evangelischen Anhang zum Gesangbuch findet es sich unter Nr. 39. Endlich. Ich habe es immer schon vermisst!

1. Freunde, dass der Mandelzweig
wieder blüht und treibt,
ist das nicht ein Fingerzeig,
dass die Liebe bleibt?

2. Dass das Leben nicht verging,
soviel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering,
in der trübsten Zeit.

3. Tausende zerstampft der Krieg,
eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg
leicht im Winde weht.

4. Freunde, dass der Mandelzweig
sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig,
wie das Leben siegt.

Schalom Ben-Chorin war einer meiner Lehrer in meinem Studienjahr in Israel. Eine beeindruckende Persönlichkeit mit einer beeindruckenden Geschichte. Geboren als Fritz Rosenthal nannte er sich nach seiner Flucht aus Nazi-Deutschland Schalom Ben-Chorin, also mit Vornamen „Frieden“ und mit Nachnamen „Sohn der Freiheit“. In der Freiheit in Israel wurde er in den 1980er Jahren für mich und viele zu einem kenntnisreichen Vermittler jüdischer Tradition wie zu einem zugewandten Gesprächspartner. Ja, das jüdisch-christliche Gespräch lag ihm am Herzen. Immer wieder war er auf evangelischen Kirchentagen aktiv, Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden dort, sowie als Dozent in Deutschland unterwegs.  Denn auch im Neuen Testament kannte er sich aus. So wurden seine Bücher „Bruder Jesus“, „Paulus“, „Mutter Mirjam“ für mich zu frühen Quellen „back to the roots“, zurück zu den Wurzeln meines christlichen Glaubens.

In dieser Osterzeit höre ich das Lied „Freunde, dass der Mandelzweig“ mit christlichen Ohren als Osterlied. Weil an Ostern „das Leben siegt und die Liebe bleibt“, wie Schalom Ben-Chorin hoffend dichtet!  „Muss man nicht ein bisschen verrückt sein, um die Hoffnung nicht aufzugeben in dieser Welt?", fragte er selbst zweifelnd zu seiner Zeit. Ja, zuzeiten nicht weniger zweifelnd und nicht weniger verrückt vielleicht, schließe ich mich dennoch seiner Hoffnung an: dass das Leben und Liebe siegen. Singe trotzig hoffend seine Worte vom Mandelzweig, der Blüten treibt!


Andrea Knauber, Pfarrerin Christusgemeinde Unter- und Obergrombach