1. Mai 2020
„Dafür habe ich jetzt endlich einmal Zeit!“ Durch die Corona-Maßnahmen verbringen viele im Moment mehr Zeit zuhause. Dieses Mehr an Zeit wird oft gut genutzt: z.b. für Gartenarbeit, kleine Bauarbeiten am Haus und in der Wohnung, Näh-Projekte realisieren, einmal selbst Brotbacken uvm.
Ich selbst nutze die Corona-Zeit, um Gitarre zu spielen und die wenigen Griffe, die ich im Anfängerkurs gelernt habe, zu üben. Allzu viele Gitarrengriffe beherrsche ich nicht. Darum suche ich mir Lieder aus, für die nur Griffe nötig sind, die ich bereits kann. So habe ich eher zufällig das schöne hebräische Lied „Bashana haba’a“ wiederentdeckt.
Nicht nur die Melodie geht mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf, sondern auch der deutsche Text der 1. Strophe, wie er im blauen Anhang zum Gesangbuch unter der Nr. 183 steht:
Nächstes Jahr, du wirst sehn,
verbringen wir die Tage ohne Angst, froh und frei vor dem Haus.
Kinder spieln um uns her, befreit von Angst und Schrecken,
und am Himmel ziehn Vögel dahin.
Anders als im deutschen Text heißt der Refrain im hebräischen Original übersetzt:
Du wirst noch sehen, wie gut es sein wird nächstes Jahr.
Der Original-Refrain knüpft dabei an den Schlussruf der jüdischen Passah-Liturgie an: „Nächstes Jahr in Jerusalem!“ Das Lied ist Ausdruck der Sehnsucht nach einer friedlicheren Welt, nach einem Alltag ohne Angst und Einschränkungen.
Natürlich hatte der Autor Ehud Manor in den 1960er Jahren das Lied in einem ganz anderen Kontext geschrieben. Eine ganz andere Art von Angst und Einschränkungen prägte – und prägt – den Alltag in Israel.
Einschränkungen und Ängste anderer Art sehen wir uns zurzeit gegenüber: Abstand halten, physische Kontakte vermeiden, Beerdigungen und Trauungen nur im aller kleinsten Kreis, Mundschutz tragen, von zuhause aus arbeiten, Existenzängste, Angst vor Ansteckung, Angst, jemanden zu infizieren oder zu verlieren.
„Wir machen das Beste daraus!“, höre ich in den letzten Wochen häufig und sage es auch selbst. Und tatsächlich versuche ich, wie viele andere auch, das Beste aus der derzeitigen Lage zu machen und habe in zwischen gut in diesen anderen Alltag gefunden, der für mich inzwischen „normal“ geworden ist. Ich befürworte die getroffenen Corona-Vorsichtsmaßnahmen und -Schutzvorkehrungen sehr. Nichtsdestoweniger sehne ich mich sehr danach, dass alles wieder so wird wie es war, dass Corona unseren Alltag nicht mehr so prägend bestimmt wie im derzeit, dass wir die Tage ohne Angst, froh und frei verbringen können, befreit von Angst und Schrecken.
Mein Glaube hilft mir, diese Sehnsucht in Zuversicht zu wandeln: Du wirst noch sehen, wie gut es sein wird (vielleicht schon) nächstes Jahr.
Bis dahin spiele ich dieses Lied auf meiner Gitarre und bin zuversichtlich!
Sie haben nun die Wahl, ob Sie den hebräischen Originaltext hören und sehen möchten (siehe oben) oder ob Sie das Lied mit dem deutschen Text (vgl. Anhang des Gesangbuchs) hören möchten.
Carmen Debatin
Gemeindediakonin der Luthergemeinde Bruchsal