25. Juni 2020

Es ist ein Lied, das für meine Generation zu den kirchlichen Hits gehörte. Als Kind und Jugendliche habe ich es geliebt: „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer, / wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus. / Frei sind wir, da zu wohnen und zu gehen. / Frei sind wir, ja zu sagen oder nein.“ Bis heute wird dieses Lied gerne bei  Trauungen gewünscht. Weil es die Liebe besingt. Oder besser: Gott, der die Liebe ist. Bis heute stimme ich gerne bei Trauungen mit den Brautpaaren in dieses Lied ein. Manchmal auch mit Trauernden bei einer Bestattungsfeier. Was mich aber immer schon hat stolpern lassen war diese Zeile in der vierten Strophe. Dort wird mir Gott als Richter vorgestellt, der mir Freiheit zuspricht. „Herr, du bist Richter! Du nur kannst befreien, / wenn du uns freisprichst, dann ist Freiheit da. / Freiheit, sie gilt für Menschen, Völker, Rassen, / so weit, wie deine Liebe uns ergreift.“

Nun weiß ich aus Beschäftigung mit der Geschichte der nationalsozialistischen Diktatur in unserem Land, dass die „Rasse“ und die in der „Rassenlehre“ zusammengefassten Ausführungen und Folgerungen eine Erfindung der Nationalsozialisten sind. Nach dem Ende dieser Schreckensherrschaft hat sich die Idee von Menschen, die man in „Rassen“ unterteilen kann, noch lange gehalten. Das im Jahr 1970 veröffentlichte Lied „Herr, deine Liebe“, das dem schwedischen Original „Guds kärlek är som stranden och som gräset” folgt, ist ein Beleg dafür. Ernst Hansen (1923-1993), der den Text aus dem Schwedischen übertragen hat, möchte ich zu Gute halten, dass er den schwedischen Text an dieser Stelle genauso übersetzt hat, wie er da stand. Das Wort „Rasse“ eingeschlossen.

Die Prägung durch NS-Sprache und Ideologie ist eine tiefgreifende, die bis heute tiefe Spuren in Denken und Sprechen zeitigt. Sicher wären wir damit weiter durch die Zeit gegangen, hätte nicht die Bewegung „Black lives matter“ (Schwarze Leben zählen) zu einem Nachdenken geführt, das nun auch vor dem Grundgesetz nicht Halt macht. Zu Recht. Weil Sprache und Worte Wirkung haben. Weil Sprache prägt. Einzelne wie ganze Gesellschaften. Ich finde es gut, wenn hier hinterfragt wird. Und sei es nur ein einzelnes Wort, das Wort „Rasse“, hinter dem doch eine Ideologie steht, die Gesellschaften kaputt macht. Immer wieder.

Und was nun tun mit dem schönen Lied? Genauer mit der vierten Strophe? Warum sich nicht die Freiheit nehmen und den Text umschreiben? Wo doch in diesem Lied so viel die Rede ist von der Freiheit, die Gott mir schenkt (welch‘ ein großes, schönes, wohltuendes Wort!). Ich habe da schon (m)eine Idee. Vielleicht wollen Sie sich auch mal versuchen? Und dieses schöne Lied weiter singen. Singen von der Liebe Gottes, die sich anfühlt wie Wind und Weite. Und von der Freiheit, die „gilt für Menschen, Völker, alle“. Ohne Rasse. Ohne Rassismus.

 

Pfarrerin Andrea Knauber, Evangelische Christusgemeinde Unter- und Obergrombach